Die neue Top-Level-Domain .web hat das Potenzial, die digitale Landschaft grundlegend zu verändern. Die Entscheidung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) zu .web könnte bald Türen öffnen, die bisher verschlossen waren. Doch warum ist diese .web-Domain so begehrt und was bedeutet die Entscheidung von ICANN für .web-Vorbesteller und zukünftige Inhaber einer .web-Domain? In diesem Artikel gehen wir diesen Fragen auf den Grund.
Warum hat ICANN die Rechte an .web noch nicht an NDC vergeben?
Vergabeverfahren zu neuen Top-Level-Domains (nTLD) werden von der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) koordiniert. An den Auktionen nehmen Registry-Unternehmen teil, die die Top-Level-Domains nach der Ersteigerung betreiben.
Bereits vor Beginn der .web-Auktion waren erste Gerüchte laut geworden, dass die meistbietende Nu Dot Co LLC (NDC) eine Art »Sugar Daddy« in der Hinterhand hatte, um das siegreiche Gebot finanziell stemmen zu können. Am 01. August 2016 bestätigte die .com- und .net-Registry VeriSign Inc., dass man eine Vereinbarung (»Domain Acquisition Agreement«) mit NDC geschlossen habe, die notwendigen Mittel für das .web-Gebot zur Verfügung zu stellen. Man erwarte nun den Abschluss des Registry-Vertrages zwischen ICANN und NDC und gehe davon aus, dass das Registry Agreement dann mit Zustimmung von ICANN auf VeriSign übertragen werde.
Das wollte die mitbietende Afilias Domains No. 3 Limited, die mittlerweile als Altanovo Domains Ltd. firmiert, nicht hinnehmen und leitete im November 2018 ein »Independent Review Process«-Schiedsverfahren gegen ICANN ein. Afilias machte darin geltend, dass die ICANN bei der Vergabe von .web an den Registry-Neuling NDC gegen eigene Statuten verstoßen habe und deshalb vom weiteren Bewerbungsverfahren hätte ausgeschlossen werden müssen.
Schiedsgericht gibt Klägerin recht
Der zentrale Vorwurf lautete, dass NDC mit VeriSign einen finanzstarken Partner im Rücken habe. Das Auktionsgebot von 135 Mio. US-Dollar sei überhaupt erst durch diesen Partner möglich geworden, dessen Beteiligung jedoch nicht offengelegt wurde.
Nach jahrelangem zähem Ringen hatte Afilias damit Erfolg: Am 20. Mai 2021 urteilte das Panel des International Centre for Dispute Resolution (ICDR), dass die ICANN mehrfach gegen die eigenen »Amended and Restated Articles of Incorporation« verstoßen habe.
Konkret störte sich das Schiedsgericht daran, dass die ICANN das Delegierungsverfahren für .web fortgesetzt hatte, obwohl dem ICANN Board of Directors bekannt war, dass der von VeriSign im Rahmen eines »Domain Acquisition Agreement« finanziell unterstützte Bewerber NDC möglicherweise gegen die Regeln im Bewerberhandbuch verstieß, weil er diese Unterstützung nicht offengelegt hatte. Nicht festgestellt hatte das Panel, ob der von Afilias erhobene Vorwurf zutrifft und NDC die Rolle von VeriSign tatsächlich hätte offenlegen müssen. Die ICANN musste stattdessen neu entscheiden, ob das »Domain Acquisition Agreement« zwischen NDS und VeriSign gegen die Regeln im nTLD-Programm verstoße.
Bei einem Special Meeting am 16. Januar 2022 hatte das ICANN Board of Directors deshalb beschlossen, dass weitere Prüfungen notwendig seien und den Ball so in das Feld des Board Accountability Mechanisms Committee (BAMC) gespielt, das die Entscheidung des Schiedsgerichts auswerten solle. Erst dann wollte ICANN wieder selbst entscheiden.
Die Zahl der Internetseiten wächst weiter unaufhörlich; die Suche nach einer aufmerksamkeitsstarken Internetadresse gestaltet sich immer schwieriger. Längst sind die meisten attraktiven Internetadressen mit Endungen wie .com oder .de vergeben.
Die neue Top-Level-Domain .web löst dieses Dilemma. Sie eignet sich für Inhalte aller Art und hat das Potenzial, die bislang führende Domain-Endung .com in Beliebtheit und Effizienz abzulösen.
Auch sie ist kurz, einfach und prägnant. Doch im Vergleich zu populären Endungen wie .de oder .com offenbart sie weitere fulminante Stärken: Sie ist selbsterklärend, international verständlich und von weltweiter Relevanz. Gegenüber anderen Endungen lässt sie zudem alle Freiheiten bei der Themen- oder Kategorienwahl. Damit eröffnen sich auch Nischenanbietern beste Chancen auf griffige, werbewirksame und vor allem noch freie, also verfügbare Internetadressen.
Was hat ICANN entschieden?
Diese Entscheidung ist nun am 30. April 2023 gefallen. Konkret stellte das ICANN Board of Directors fest, dass NDC weder durch den Abschluss des »Domain Acquisition Agreement« noch durch die Teilnahme an der .web-Auktion gegen die Regelungen im Bewerberhandbuch oder die Auktionsregeln verstoßen hat.
Zugleich wurde die ICANN-Interims-Präsidentin und CEO Sally Costerton angewiesen, die Bewerbung von NDC weiterzubearbeiten, also den Registry-Vertrag mit NDC auszuhandeln. Zur Begründung heißt es insbesondere, dass sich das »Domain Acquisition Agreement« auf eine (zulässige) mögliche künftige Abtretung des Registry-Vertrages, den NDC mit ICANN abschließen könnte, beziehe und nicht auf eine (unzulässige) Abtretung der .web-Bewerbung an VeriSign. NDC sei Bewerber geblieben, und falls NDC einen Registry-Vertrag mit ICANN anschließe, werde NDC Registry für die Top-Level-Domain .web.
Abtretung müsste gesondert geprüft werden
Ob NDC die Rechte aus diesem Vertrag dann an VeriSign abtreten will und kann, sei aktuell offen. Im Falle eines entsprechenden Antrages gäbe es ein eigenes Verfahren zur Prüfung, einschließlich der Notwendigkeit der Genehmigung dieses Antrags durch ICANN. Die Abtretung von Rechten und Pflichten aus einem Registry-Vertrag sei dabei nicht unüblich und komme keiner »Umgehung« des Bewerbungsverfahrens gleich, sondern sei vielmehr ein notwendiger Bestandteil für den weiteren ununterbrochenen Betrieb einer nTLD.
Ferner hätten auch zahlreiche andere Bewerber den Auftrag und Zweck ihrer Domain-Endung geändert. Schließlich sei NDC stets der Bieter für .web geblieben; abgegebene Gebote seien rechtmäßig gewesen, und NDC war wirtschaftlich in der Lage, das Auktionsgebot zu bezahlen, als man bei der Versteigerung den Zuschlag erhalten hatte.
Wann kann ich die ersten .web-Domains registrieren?
In einer ersten Stellungnahme begrüßte VeriSign die Entscheidung des ICANN-Vorstands. Man werde nun mit ICANN und NDC zusammenarbeiten, um den Verkauf von .web abzuschließen, und »unsere Pläne für die Einführung und das Wachstum dieser aufregenden neuen Top Level Domain mitzuteilen«.
Allerdings hat Afilias bereits vor einigen Monaten angekündigt, die gerichtlichen Auseinandersetzungen um .web »in all available fora whether within or outside of the United States of America« fortzusetzen.
Es ist gut möglich, dass deshalb in Kürze ein weiteres Schiedsverfahren folgt, in dem der aktuelle Beschluss des ICANN-Vorstands überprüft wird. Wann genau die ersten .web-Domains registriert werden können, ist derzeit also noch völlig offen; aktuell ist weder eine Registrierung noch eine verbindliche Vorbestellung möglich.
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