Vor 10 Jahren erschien das Buch Domain-Namen im Internet: Ein Wegweiser für Namensstrategien von Tim Schuhmacher, Thomas Ernstschneider und Andrea Wiehager.
Neben den Themen Domain-Namen im Internet, Domainstrategien, Domain-Registrierung, Domain-Recht und Handel mit Domain-Namen hat auch die Zukunft des DNS ein eigenes Kapitel erhalten. Anlässlich der aktuellen Veränderungen im DNS durch das new gTLD Programm (neue Domainendungen) sehen wir uns die damaligen Prognosen an und vergleichen diese mit dem Status quo.
Wie also stellten sich die Autoren die Zukunft vor? In Unterkapitel 6.5 Prognosen und Empfehlungen werden die drei nachfolgenden Szenarien vorgestellt, wie sich das DNS weiter entwickeln könnte:
SZENARIO 1
Beibehaltung des Status quo: Einige wichtige Top-Level-Domains (.com, .de, …) werden genutzt. Andere Top-Level-Domains werden zwar angeboten, deren kommerzielle Nutzung bleibt jedoch gering.
SZENARIO 2
Unbegrenzte Top-Level-Domains: Erweiterung des Domain-Namen-Systems durch eine Vielzahl weiterer TopLevel-Domains mit dem Ergebnis, dass die Image-Bedeutung der Endung des Domain-Namens verschwindet und alle Domain-Namen im Format www.something.something gleichberechtigt oder annähemd gleichberechtigt nebeneinander existieren und von den Konsumenten als solche wahrgenommen werden. Im extremen Fall dieses Szenarios kann jedes Unternehmen seine eigene Top-Level-Domain reservieren (.ibm, .sony etc.) und unterhalb seiner Top-Level Domains Domain-Namen vergeben.
SZENARIO 3
Revolution des Systems: Ersatz des Domain-Namen Systems durch ein komplett neues System, wie zum Beispiel durch ein Keyword-System. In diesem Szenario ist es denkbar, dass sich ein neues System zuerst on top des Domain-Namen-Systems etabliert und danach dieses ablöst, da es aufgrund überragender Bedienerfreundlichkeit von den Konsumenten besser angenommen wird. Dies wäre beispielsweise der Fall, falls sich Realnames mit einern System durchsetzen kann, das nah an der natürlichen Sprache liegt und damit beispielsweise ermöglichen könnte, mit einem sprachgesteuerten System mobile Endgeräte zu steuern. In diesem Fall würde das Domain-Namen-System zwar weiterhin existieren, jedoch rein auf seine technische Funktion reduziert.
Die Prognose, welche Szenarien die Autoren für wahrscheinlich halten, war folgende, gekürzte Einschätzung:
PROGNOSE
Wir erwarten eine Kombination aus Szenario 1 und Szenario 3. […] Die .com-Domain […] profitiert hierbei von einem Imagevorsprung, der für Nachahmer schwer einzuholen scheint. Szenario 1 scheint als Grundszenario wahrscheinlich […] Daher gehen wir davon aus, dass das Domain-Namen-System grundsätzlich in der jetzigen Form bestehen bleiben wird.
Den Imagevorsprung konnte die Endung .com halten und die Registrierungszahlen haben sich positiv entwickelt. Waren Ende 2002 noch ca. 22 Mio. .com Domains registriert, sind es heute über 100 Millionen .com Domains. Für den deutschen Sprachraum dominieren immer noch die Endungen .de und .com. Andere gTLDs und ccTLDs werden genutzt (.info, .eu, .tv, .me), sie haben jedoch nicht die Bedeutung von .de und .com für den deutschen Sprachraum erlangt. Die Prognose war somit zutreffend.
Doch wie sieht es mit dem dritten Szenario aus, der prognostizierten Revolution des Adressierungssystems? Dominieren Systeme, die das DNS auf seine technische Funktion – also die Auflösung auf eine IP Adresse – reduzieren? In Teilen hat sich diese Prognose bewahrheitet.
PROGNOSE
Die Probleme des Domain-Namen-Systems jedoch führen dazu, dass sich alternative Systeme für die einfache Auffindung von Internet-Webseiten mehr und mehr durchsetzen werden. So sind schon jetzt qualitativ hochwertige Suchmaschinen (zum Beispiel Google) verfügbar, die die Auffindbarkeit von Firmen-Webseiten besser möglich machen als dies über die Eingabe eines Domain-Namens möglich ist.
Die Informationsfülle hat die Bedeutung von Suchmaschinen gestärkt. Über 90% User suchen heute nach einer Website über Google. Die im dritten Szenario beschriebene Reduktion des DNS auf seine technische Funktion liegt allerdings nicht vor. Domains als Adressierungsinstrument sind weiterhin aktuell. Auch die explosionsartige Nutzung von sozialen Netzwerken und Apps durch Individuen und Unternehmen hat die Domain nicht bedeutungslos gemacht. Alternative Eingabesysteme neben Suchmaschinen haben sich noch nicht etabliert. Suchanfragen, die auf einer Analyse der natürlichen Sprache basieren, haben sich noch nicht durchgesetzt, wie beispielsweise Siri für das iphone oder die Google Sprachsuche/s-voice für Android. Allerdings ist der Typ-In Traffic, der durch die direkte Eingabe des Domain-Names in die Browserzeile entsteht, kleiner als der Traffic, der über Suchanfragen entsteht.
PROGNOSE
Ähnliches wäre auch durch ein Keyword Konzept (wie das von Realnames) möglich, das bei der Eingabe eines beliebigen Wortes in die Browserzeile den Nutzer zu einer bestimmten Webseite bringt.
Das Keywordkonzept wird erfolgreich in China eingesetzt. Hierfür ist allerdings eine Modifikation des Browsers oder eine Unterstützung des Internet Service Providers (ISP) notwendig. In anderen Ländern hat sich dieses Konzept deshalb nicht durchgesetzt.
Die einzige Überraschung aus heutiger Sicht stellt die Prognose für das zweiten Szenario dar:
PROGNOSE
Das Szenario 2 schließen wir aus […] .
Doch hier tritt höchstwahrscheinlich genau das ein, was ausgeschlossen wurde:
Im extremen Fall dieses Szenarios kann jedes Unternehmen seine eigene Top-Level-Domain reservieren (.ibm, .sony etc.) und unterhalb seiner Top-Level Domains Domain-Namen vergeben.
Beide Unternehmen, IBM und Sony, haben sich in der aktuellen new gTLD Einführungsrunde um eine eigene Domainendung beworben. Mit einer unbeschränkten Anzahl von Bewerbungen für neue Domainendungen hatte zu dieser Zeit niemand gerechnet.